Der Sturmvogel * Ethel Smyth

über das Leben der Komponistin und Autorin Ethel Smyth (1858-1944)

Aus der Reihe "Starke Frauen * Starke Musik"
Ein Zwei-Personen-Stück für Schauspielerin und Pianistin von Claudia Edermayer

Claudia Edermayer spielt Szenen aus Ethel Smyths Leben und liest aus deren Korrespondenzen 
Martina Haselgruber spielt Ethel Smyths Kompositionen und singt
Christine Maria Krenn führt Regie 

Hintergrundinformationen für Schulen
über das Leben von Ethel Smyth

Das Leben damals …
Ethel Smyth wurde 1858 geboren. In ihrer Kindheit gab es noch kein Internet (ab den 1990er Jahren), keine Fernseher (ab den 1930er Jahren), keine Radiosendungen (ab 1920), und kein Telefon (erste Telefonate von Postämtern aus ab den 1880er Jahren).

Doch wie erfuhren die Menschen Neuigkeiten?
Sie schrieben einander Briefe, lasen Zeitungen und – wenn es ganz dringend war – gingen sie aufs Postamt und schickten ein Telegramm. Dazu diktierten sie dem Postbeamten einen kurzen Text und den Namen und die Adresse des Empfängers. Der Postbeamte schickte die Nachricht an das Postamt in der Nähe des Empfängers ab. Dies geschah zuerst mittels Morsetaste und Morsealphabet, dann mittels Tastatur. Übertragen wurde die Nachricht über Telegraphenmasten (z. B. mit Lichtsignalen, Tönen oder elektronisch). Der Beamte im Empfängerpostamt schrieb alles auf und übergab die Nachricht einem Boten, der das Telegramm zustellte.

Telegramm
Telegramm

Auch die Fortbewegung war viel langsamer. Die ersten Autos gab es Ende des 19. Jahrhunderts, erste Passagierflugzeuge nach dem 1. Weltkrieg.
Doch wie kamen die Menschen ans Ziel?
Sie gingen zu Fuß, fuhren mit dem Rad, ritten, nahmen die Pferdekutsche, fuhren mit dem Schiff oder nahmen die Dampfeisenbahn.

Rolle der Frauen in der Gesellschaft
Zu dieser Zeit begann die industrielle Revolution. Arbeit gab es genug. Doch Frauen erhielten nur schlecht bezahlte Jobs und wurden generell schlechter entlohnt als die Männer. Das Geld wurde von ihren Männern verwaltet – zum Nachteil der Frauen. Auch ging bis 1893 das Erbe der Frauen nach der Heirat automatisch in das Eigentum des Mannes über.

Wahlrecht und Suffragetten
Großbritannien
Bis 1918 durften in Großbritannien etwa 60 % der Männer wählen. Zu den Wahlberechtigten gehörten erwachsene Hauseigentümer und Männer, die unmöblierte Wohnungen im Wert von 10 Pfund pro Jahr mieteten. Frauen durften nicht wählen. Dagegen wehrten sich die Frauen. Begonnen hat der Protest bei adeligen Frauen und Frauen aus dem gehobenen Mittelstand, dem auch Ethel Smyth angehörte.

Die Suffragetten
Suffrage bedeutet das Recht zu wählen.
Die Suffragetten waren Teil der "Votes for Women" Kampagne in Großbritannien.
Zuerst waren die Proteste und Forderungen sehr zurückhaltend und wurden von den Politikern nicht ernst genommen. Immer wieder machten sie falsche Versprechungen und vertrösteten die Frauen. 

Suffragette Ethel Smyth, LSE Library
Suffragette Ethel Smyth, LSE Library
Claudia Edermayer als Ethel Smyth, die Farben der Suffragetten
Claudia Edermayer als Ethel Smyth, die Farben der Suffragetten

Dies änderte sich erst, als Emmeline Pankhurst mit ihren Töchtern und einer kleinen Gruppe Frauen 1903 die WSPU (Women's Social und Political Union) gründeten. Sie wollten die Nation aufwecken. "Taten statt Worte" war die Devise. Die Mitglieder der WSPU gaben wöchentlich die Zeitung "Votes for Women" heraus, protestierten vor dem Parlament und ketteten sich an Regierungsgebäude an.

Die Farben der Suffragetten: Lila stand für Loyalität und Würde, Weiß für Reinheit, Grün für die Hoffnung

Im Laufe der Jahre wurde der Kampf der Suffragetten radikaler. Sie schlugen Fenster ein und beschädigten Kunstwerke. Die Gewalt durch die Politik nahm ebenfalls zu. Die Frauen wurden verhaftet. Im Gefängnis traten sie in den Hungerstreik und wurden rasch frei gelassen. Doch dieser Erfolg währte nicht lange. Der sogenannte "Cat and Mouse Act" trat in Kraft. Wenn die Frauen durch die Hungerstreiks so schwach geworden waren, dass ihre Leben gefährdet waren, wurden sie entlassen. Zu Hause wurden sie ständig von Polizisten beobachtet. Sobald die Suffragetten wieder fit genug für das Gefängnis waren, wurden sie erneut verhaftet.
Ethel päppelte Emmeline zehnmal auf. Danach floh diese nach Frankreich und kehrte erst zu Beginn des 1. Weltkrieges wieder nach England zurück, um für das Land zu kämpfen.
Doch den Politikern war das ewige Freilassen-Verhaften zu wenig effizient. Und so ließen sie die Hungerstreikenden brutalste Art zwangsernähren.

Beschreibung der Zwangsernährung im Holloway Gefängnis durch Mary Richardson, 6.2.1914

Der Prozess, den Schlauch durch die Nase zu treiben, ist schrecklich, da der Schlauch normalerweise zu groß für die Nasenhöhle ist, und wenn es ein Hindernis zu geben scheint, wird immer heftiger gedrückt.
Bei einer Gelegenheit zerriss mir Dr. Pearson fast die Nase mit seinen wiederholten Versuchen, den Schlauch durch die Öffnung zu zwängen, nur weil er sich nicht bemühte, den Nasen-Rachen-Raum sorgfältig zu lokalisieren. Als ich protestierte, antwortete er: "Es gibt einen Stau, und ich muss ihn durchdrücken."
Nach dreißig Nasenfütterungen waren mein Gesicht, meine Augen und meine Nase so geschwollen, dass Dr. Pearson mich nun über den Rachenschlauch füttern wollte. Ich biss meine Zähne zusammen, woraufhin er mit seinem zweiten Finger zwischen meine Lippen fuhr, und absichtlich meine Wange mit seinem Fingernagel schnitt.
Ich schrie auf, aber er fuhr fort, bis meine Zähne qualvoll getrennt waren. Ein metallener Federknebel wurde eingesetzt, gefolgt von der Ernährungssonde.
Zu dieser Zeit lief das Blut aus meinem Mundwinkel, meinen Hals hinunter auf meine Kleidung. Ich begann heftig zu würgen, so heftig, dass beide anwesenden Ärzte alarmiert waren.
Einer sagte spöttisch: "Tu das nicht!"
Der andere: "Stellen Sie sich Makkaroni vor, die Sie nehmen!"
Der Schmerz der Prozedur war unerträglich. Ich wurde fast wahnsinnig davon. Als sie aufgehört hatten, rannte ich aus meiner Zelle. An diesem Punkt sagte Pearson, ich sei in einem "gefährlichen Geisteszustand" und müsse entsprechend behandelt werden, mit dem Ergebnis, dass sie sich weigerten, meine Zellentür zu öffnen, wenn ich etwas brauchte, und mich von außen anschrien, wie sie es bei einer Wahnsinnigen tun würden.
Am nächsten Tag entschied sich Dr. Pearson wieder für die Nasenernährung. Vier Tage später wurde ich mit Blinddarmentzündung entlassen. Eine bestimmte Wärterin hatte Freude daran, mir weh zu tun, sie vergrub ihre Fingerknöchel in mich, sogar als der Kampf bereits beendet war und ich zwangsernährt wurde.
Meine Schultern waren nach drei Tagen Zwangsfütterung wund und bluteten bis zu meiner Entlassung.
Schlaflosigkeit ist eine Begleiterscheinung des Hungerstreiks, aber vor allem der Zwangsernährung, weil man unter schrecklichen Albträumen leidet, und dies trotz der Tatsache, dass Medikamente verabreicht werden, denen Drogen beigesetzt wurden, um die Nerven zu beruhigen. (...)
Mary Richardson, 6.2.1914
Englischer Bericht von Mary Richardson - The National Archives

Schließlich halfen die Proteste. Auch der 1. Weltkrieg wird seinen Teil dazu beigetragen haben.
1918 erhielten Grundbesitzerinnen ab 30 Jahren das Wahlrecht. Ab 1928 durften alle Frauen ab 21 Jahren wählen, seit 1969 Männer und Frauen ab 18 Jahren.
1913 Cat and Mouse Act - UK Parliament
Various Suffragettes Material (youtube.com)
Über die Zwangsernährung im Holloway Prison Suffragettes: The truth about force feeding (bbc.com)

Wahlrecht in Österreich und Deutschland

In Österreich dürfen Frauen und Männer seit 1918 wählen. Allerdings mit einer Unterbrechung.
1933 wurde das Parlament von Engelbert Dollfuß ausgeschaltet. Bei der Abstimmung 1938 über den Anschluss an Deutschland durfte nur die nationalsozialistische Einheitsliste bei der Wahl antreten – es gab also nur eine einzige Partei, die gewählt werden konnte.
Seit 1945 dürfen Männer und Frauen wählen, zuerst ab 21 Jahren, heute ab 16 Jahren.

In Deutschland dürfen Frauen seit 1919 wählen, ebenfalls unterbrochen durch den 2. Weltkrieg.
BRD – bis 1950 benötigten neue Parteien einer Zulassung durch die Allierten.
DDR – es gab zwar Wahlen, aber die Wähler:innen konnten nur eine Einheitsliste wählen. Erst 1990 gab es die erste freie Wahl, als über den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland abgestimmt wurde. Am 14.10.1990 gab es dann die ersten Wahlen in den neuen Ländern. Heute dürfen in Deutschland Männer und Frauen ab 18 Jahren wählen.

Übrigens: Die ersten Frauen, die in Europa wählen durften, waren 1906 die Finninnen.

Der Sturmvogel * Ein kurzer Überblick über das Leben von Ethel Smyth

Ethels Familie und Kindheit

Ethels Familie

Ethels Familie kam aus der Oberen Mittelschicht. Ihr Vater John Hall Smyth war Generalmajor in der Britischen Armee. Fast dreißig Jahre lang war er mit seiner Familie in Indien stationiert. Ethels ältere Geschwister verbrachten einen Teil ihrer Kindheit dort. Ethel selbst wurde in London geboren. Ihr Vater hielt nicht viel von Künstlern, wenngleich er später stolz auf Ethels Erfolge war.

Ethels Mutter, Emma Mary Smyth, wuchs in Paris auf. Ethels Großmutter war Tochter eines Baronets (niederer Adel). Nach der Geburt von Ethels Mutter zog die kleine Familie nach Paris. Als ihr Vater starb und ihre Mutter wieder heiratete, wurde Emma zurück nach England geschickt, um für ihren adeligen Onkel als Haushälterin zu arbeiten. Ethels Mutter war sehr sprachbegabt – sie sprach fließend Französisch und Englisch. Außerdem Deutsch, Spanisch, Italienisch und Hindustani (eine indische Sprache). Sie war ein musikalisches und künstlerisches Talent und unterstützte Ethels musikalischen Ehrgeiz (sehr zum Missfallen von Ethels Vater). Am glücklichsten war Ethels Mutter in Indien, wo sie mit ihren außerordentlichen Fähigkeiten als brillante Gastgeberin und Unterhalterin galt.
Wahrscheinlich wäre sie zu anderen Zeiten eine Diplomatin geworden, schreibt Ethel Smyth in ihrer Biografie. Wenngleich ihre Mutter in England einige Freunde fand, unter ihnen auch die exilierte Kaiserin Eugenie von Frankreich (der Ethel 1883 das erste Mal begegnete), war ihre Mutter sehr unglücklich in England.

Ethel war das vierte von acht Kindern, davon sechs Mädchen. Zu ihrer älteren Schwester Mary hatte Ethel die engste Beziehung. Mary, die den Sohn eines reichen Kohlenminenbesitzers heiratete, unterstützte Ethel viele Jahre lang finanziell. In späteren Jahren verarmte Mary und wurde ihrerseits von Ethel unterstützt.

Die Kinder waren ein "wilder Haufen", der ein Kindermädchen nach dem anderen zur Verzweiflung trieb. Als Ethel zwölf Jahre alt war, kam eine neue Erzieherin in die Familie – ein Mädchen, das auf dem Leipziger Konservatorium Musik studiert hatte. Von ihr hörte Ethel das erste Mal klassische Musik und war begeistert. Sie wollte ebenfalls Musik in Deutschland studieren! Ihre Mutter unterstützte ihren Wunsch, der Vater war kategorisch dagegen.
Ethel erhielt Musikunterricht, besuchte heimlich Konzerte in London. Um ihren Traum zu erfüllen, streikte sie schließlich. Sie ging nicht mehr zur Messe, ritt nicht mehr aus, spielte nicht mehr den Gästen vor, aß und redete nicht mehr. Bis ihr Vater kapitulierte und sie in Leipzig studieren durfte.  

Reisen und Freizeit
Ethel liebte das Reisen. Sie war u.a. in Griechenland, Ägypten, Italien, Deutschland, Frankreich und Irland.
Ihr Beruf führte sie sogar nach New York, wo ihre Oper "Der Wald" (1903) an der Metropolian Opera aufgeführt wurde. Übrigens das erste Werk einer Komponistin. Erst 113 Jahre später wurde die nächste Komposition einer Frau dort aufgeführt!

Ethel war sehr sportlich. Sie ritt, ging auf die Jagd, spielte leidenschaftlich gerne Golf und ging Bergsteigen. Georg Henschel aus Leipzig schrieb in seinen Memoiren folgendes: "Sie zeigte uns das Rasentennisspiel und sprang sehr zur Verwirrung der deutschen jungen Damen und Herren über Zäune, Stühle und sogar Tische."

Leipzig (1877 mit 19 Jahren)

In Leipzig verbrachte Ethel die glücklichsten sieben Jahre ihres Lebens, wenngleich das Studium ziemlich langweilig war. Hier begegnete sie vielen bekannten Persönlichkeiten, mit denen sie auch später noch in Verbindung stand und Teil ihres großen Netzwerkes bildeten.
Elisabeth (Lisl) und Heinrich von Herzogenberg, die sie "adoptierten", stellten sie ihrem Bekanntenkreis vor. Hier traf Ethel nicht nur Theater- und Operdirektoren, Dirigenten und Schauspielerinnen, sondern z. B. auch Clara Schumann, Lili Walch (die jüngste Tochter von Mendelssohn Bartholdy), Johannes Brahms, Pjotr Tschaikowsky, Edvard Grieg und Felix Dvorak. Heinrich unterrichtete Ethel und Elisabeth gemeinsam.

Ethel bewunderte vor allem Johannes Brahms für seine Kompositionen. Er war bei den Herzogenbergs ein häufiger, sehr verehrter Gast. Andererseits war sie aber empört über seine Einstellung zu Frauen.
Ethel verliebte sich in Elisabeth von Herzogenberg und wahrscheinlich wurden die beiden ein Liebespaar.
Recollections of Johannes Brahms (youtube.com)

Florenz (1. Besuch 1882)
Ethel traf Lisl Schwester Julia und deren Ehemann Henry (Harry) Brewster in Florenz. In Florenz hatte Ethels schlimmste Krise ihres Lebens ihren Ursprung. Zuerst hatte sie nur Augen für Julia, aber dann verliebte sich Harry in sie. Lisl schlug sich auf die Seite ihrer Schwester.
Zwar brach Ethel den Kontakt zu Harry ab, um ihre Freundin zu beschwichtigen. Aber nichts half.
Lisl wollte nichts mehr von ihr wissen (1885). Eine Katastrophe für die junge Frau!

Bis zu Lisls Tod im Jahr 1893 hatten die beiden keinen Kontakt mehr. Ethel verwand dies ihr Leben lang nicht. Ethel kehrte nach England zurück (1885/1886), verbrachte den Winter 1887 in Leipzig, wo sie allerdings aus dem Freundeskreis der Herzogenbergs ausgeschlossen wurde.

Henry (Harry) B. Brewster, aus: Impressions that remained
Henry (Harry) B. Brewster, aus: Impressions that remained

Henry (Harry) B. Brewster
Harry Brewster war Schriftsteller und sprach mehrere Sprachen. Halb Engländer, halb Amerikaner wurde er in Frankreich erzogen. Er sprach neben Englisch und Französisch auch Italienisch und modernes Griechisch und konnte sogar verschiedene orientalische Sprachen lesen. Ethels Beziehung zu ihm vertiefte sich im Lauf der Jahre.

Vor allem nachdem Lisl gestorben war. Gemeinsam verfassten sie drei Opern. Harry schrieb die Texte und Ethel komponierte.
Ihre "Kinder" waren "Fantasio" (Premiere 1898 in Weimar), "Der Wald" (Premiere 1902 in London und wurde 1903 als erste Komposition einer Frau in der New Yorker Met aufgeführt) und "The Wreckers" (Premiere 1906 in Leipzig). Das Symphonische Oratorium "The Prison" komponierte Ethel 1930 zu einem Text des verstorbenen Harry. Harry Brewster unterstützte Ethel nicht nur künstlerisch, sondern auch finanziell. Und er war der einzige Mann, den Ethel jemals geliebt hat.
Harry (Henry) Brewster starb 1908 mit 57 Jahren an Leberkrebs.

Ethels Hunde
Eine Freundin entdeckte 1887 Marco in Wien. Dessen Mutter zog den Karren für eine Waschfrau und ihr Welpe begleitete sie dabei. Die Freundin kaufte den Welpen der Wäscherin ab und brachte ihn nach Leipzig.
Da ihr Mann bereits drei Hunde besaß, schenkte sie den Hund Ethel. Von da an waren die beiden unzertrennlich. Nach dem Tod Marcos nahm sich Ethel sofort einen anderen Hund, Pan I. Diesem folgten Pan II – Pan V.

Bilder der Hunde aus: Inordinate Affection

München 1889
Im Herbst 1889 zog Ethel nach München. Zuerst war sie begeistert – von den Alpen, der schönen Stadt und der Bayrischen Tracht. Bei einem Opernbesuch traf Ethel Lady Trevelyan mit ihren zwei Töchtern wieder. Sie hatte sie im Sommer in London kennengerlernt. Lady Trevelyan war eine Freundin von Ethels Schwester Mary Hunter. Ethel verliebte sich in die älteste Tochter Pauline. Mit Pauline, die Zeit ihres Lebens unter starken Schmerzen litt, reiste Ethel zu Pfarrer Kneipp, der die beiden einer Kneipp Kur unterzog.
Alle Trevelyans waren streng katholisch, was auch auf Ethel abfärbte – die gläubigste Phase ihres Lebens begann und mündete in der Komposition der Messe in D. Ethel führte diese 1892 im kleinen Kreis vor Queen Victoria auf – eine Einladung, die sie ihrer Freundin Eugenie zu verdanken hatte. Eugenie war die Kaiserin von Frankreich und lebte in England im Exil – in der Nachbarschaft ihres Elternhauses. 1893 wurde die Messe in der Royal Albert Hall in London aufgeführt. Erst 31 Jahre später ein zweites Mal, diesmal in Birmingham.
Doch zurück nach München. Im November kündigte der Hausherr Ethel. Ihre Vermieterin hatte ihm nicht gesagt, dass Ethel als alleinstehende Frau ein Zimmer gemietet hatte. Und das durfte nun wirklich nicht sein!
Mitte Dezember reiste Pauline mit ihrer Familie nach Cannes, während Ethel verzweifelt nach einer neuen Unterkunft suchte. Vergeblich. Sie probierte es in verschiedenen Zimmern. Doch die einen waren zu laut, das letzte ein kaltes, feuchtes Loch. Schließlich kehrte Ethel zu Weihnachten verzweifelt und krank mit ihrem Hund Marco nach Hause zurück. Mit dabei hatte sie "Imitation of Christ", ein Buch über das christliche Leben aus Paulines Besitz.

Ethel schwor, für immer auf das Komponieren und die Musik zu verzichten.
Zum Glück hat sie diesen Schwur nicht gehalten! 

Kaiserin Eugenie, wikimedia commons
Kaiserin Eugenie, wikimedia commons

Zu Hause kümmerte sich Ethel um ihre Mutter bis diese starb. In dieser Zeit fing sie an, die Messe in D zu komponieren. Sie schrieb die Messe nach dem Tod ihrer Mutter am Cap Martin im Haus und auf der Yacht ihrer Freundin Kaiserin Eugenie fertig. Die Messe in D widmete Ethel ihrer Freundin Pauline Trevelyan. 


The Wreckers (1904 fertiggestellt, 1906 Leipzig Premiere)
Liebe, Leidenschaft und Verzweiflung waren oft Inspirationen für Ethels Werke.
So auch für "The Wreckers". 
In diesem Fall war es Winnaretta de Polignac, die ihr Herz entflammte. Winnie, wie Ethel sie nannte, war eine Tochter des Nähmaschinenfabrikanten Singer. Die geborene New Yorkerin zog mit ihrer Familie nach Paris. Sie war eine begnadete Pianistin, Organistin und Malerin. Winnie, selbst lesbisch, heiratete den homosexuellen, mittellosen Adeligen Edmond de Polignac. Sie unterstützte die Kunstszene mit ihrem Reichtum.
Viele namhafte Künstlerinnen und Künstler erhielten von ihr Kompositionsaufträge, unter anderem Ethel Smyth, Igor Strawinsky und Eric Satie. In ihrem Salon gab es zahlreiche Konzerte, angefangen von klassischen Stücken bis hin zu Jazz. Kein Wunder, dass sich Ethel – allerdings unglücklich – in sie verliebt hat!
Aber die Liebe zu Winnie und Harry inspirierte sie zu dem großen Werk "The Wreckers".

Der Weg bis zur Aufführung war eine Odyssee. Harry hatte die Oper auf Französisch verfasst. Der Intendant wollte den Text aber auf Deutsch. Der Übersetzer erpresste immer mehr Geld von Ethel, die es ohne die Unterstützung von ihrer Schwester Mary, Winnie und Harry nicht geschafft hätte.
Aber schlussendlich hatte die Oper in Leipzig Premiere. Nur hatte der neue Intendant ihre Oper so stark gekürzt, dass Ethel empört die Konsequenzen zog. In der Nacht schlich sie in das Opernhaus, sammelte alle Noten ein und reiste damit nach Prag. Die Oper konnte kein zweites Mal in Leipzig aufgeführt werden.
Die nächste Katastrophe war die Aufführung in Prag, wo der Intendant einen Schlaganfall erlitten hatte und das Orchester praktisch alles vom Blatt spielen musste. Die Aufführung des 1. und 2. Aktes in London sollte ein Höhepunkt sein, doch dann kam die schreckliche Nachricht, dass Harry todkrank war.
Er reiste zwar zur Aufführung von "The Wreckers" in London aus Italien an, starb aber bald darauf im Haus seiner Tochter Clotilde an Leberkrebs. 

Emmeline Pankhurst, wikimedia commons
Emmeline Pankhurst, wikimedia commons

Die Suffragetten
1911 schloss sich Ethel den Suffragetten an. Zuerst war sie nicht interessiert am Kampf für das Frauenwahlrecht – zu sehr war sie mit ihrer Arbeit als Komponistin und Musikerin beschäftigt. Doch ein Treffen in Venedig mit ihren österreichischen Freunden, der Opernsängerin Anna Mildenburg-Bahr (in die sie verliebt war) und deren Ehemann, dem Schriftsteller Hermann Bahr veränderte alles. Die beiden steckten sie mit ihrer Begeisterung für die Anliegen der Suffragetten an. Ethel reiste zurück nach England und stellte sich Emmeline Pankhurst vor. Sofort war sie von der charismatischen Persönlichkeit begeistert und trat zwei Jahre lang in den Dienst der Suffragettenbewegung. Ethel wurde die Geliebte Pankhursts. Sie wurde verhaftet, als sie das Fenster des Kolonialsekretärs einwarf. Zu dieser Zeit entstand unter anderem der "Marsch der Frauen" mit dem Text von Cicely Hamilton. Mehr zur Suffragettenbewegung siehe weiter oben.

Der 1. Weltkrieg
Nach der Zeit bei den Suffragetten reiste Ethel nach Ägypten, wo sie ihre vierte Oper The Boatswain's Mateschrieb. 1914 war sie mit Emmeline Pankhurst in Frankreich, als der 1. Weltkrieg ausbrach. Die beiden kehrten nach England zurück. Ethel ging zuerst mit ihrer jüngeren Schwester Nina als Krankenschwester an die italienische Front.
Von 1915 – 1918 arbeitete sie dann als Röntgenassistentin im Kriegshospital von Vichy in Frankreich.
Während des Aufenthaltes in Ägypten bemerkte Ethel zum ersten Mal, dass mit ihrem Gehör etwas nicht stimmte. Und es wurde schlimmer. Doch selbst der Gehörspezialist in Paris, den sie während des 1. Weltkrieges besuchte, konnte nichts gegen Ethels zunehmende Schwerhörigkeit ausrichten. Während der Zeit als Röntgenassistentin schrieb Ethel ihre Memoiren "Impressions that remained" (2 Bände, 1919 veröffentlicht), die sie den Verwundeten im Spital vorlas. Diesen Memoiren folgten neun weitere Bücher. Ein elfter Band blieb unveröffentlicht, das Manuskript ist aber noch erhalten.

Virginia Woolf 1927, wikimedia commons
Virginia Woolf 1927, wikimedia commons

Virginia Woolf
Ethels letzte große Liebe war die Schriftstellerin Virginia Woolf. Zu dieser Zeit war Ethel bereits sehr schwerhörig.
Sie moderierte die Sendung "Point of view" und lud 1930 auch Virginia ein. Die Liebe zu Virginia war – wie so oft – einseitig. Daraus entwickelte sich aber eine intensive Freundschaft. Briefe und Tagebucheinträge geben einen guten Einblick in das Verhältnis der beiden Frauen zueinander, ihr Verhalten und ihre Eigenheiten.
Virginia starb 1941 durch Selbstmord.

Tod von Ethel Smyth
Bis zu ihrem Lebensende war Ethel Smyth an der Welt und ihrer Entwicklung interessiert, wenngleich sie damit haderte, dass sie so viele Freunde, Geliebte und Familienmitglieder verloren hatte.
So überlegte sie ein Treffen mit Politikern zu veranstalten, um über "Die Vereinigten Staaten von Europa nach dem Krieg" zu diskutieren. Ethel Smyth starb 1944 im Alter von 86 Jahren vollständig ertaubt in ihrem Haus in Woking.

Verbindung zu Österreich (Auswahl)

  • Ethel war eng befreundet mit Anna Mildenburg-Bahr, der Opernsängerin und Hermann Bahr, dem Schriftsteller. Die beiden überzeugten sie davon, den Suffragetten beizutreten.
  • Ethel und Harry reisten zu Gustav Mahler, dem damaligen Leiter der Wiener Oper. Sein Stellvertreter Bruno Walter empfing die beiden. Aus diesem Treffen entwickelte sich eine langjährige Freundschaft.
  • Ethel Smyth war Gründungsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Salzburg (1922). The Life and Times of Ethel Smyth – mdw-Magazin
  • Ethel reiste nach ihrer Zeit bei den Suffragetten unter anderem auch nach Wien, um hier Vorträge über die Anliegen der Suffragettenbewegung zu halten.

Werke
Kompositionen
Ethel Smyth komponierte 6 Opern, eine Messe, eine Sinfonie, ein Konzert, zahlreiche Chor- und Orchesterwerke, Lieder und Kammermusik. "Prelude on a Traditional Irish Air" für die Orgel war Ethels letztes Werk (1938), bevor sie ganz ertaubte.
Bücher 
Ethel schrieb 10 Bücher und hinterließ zahlreiche Briefe, sowie ein unveröffentlichtes Manuskript.
Mugi (Musik und Gender im Internet) von der Hochschule für Musik Franz Liszt in Hamburg
Auf dieser Seite gibt es ein detailliertes Werkverzeichnis

Hörbeispiele
Messe in D (1891)
SO & GC | CM Berlin (youtube.com) 2022 Berliner Philharmonie, dirigiert von Donka Miteva

Ouvertüre von The Wreckers (1904), dirigiert von Ethel Smyth 1930
Smyth conducts Smyth: The Wreckers Overture (1930) - (youtube.com)

March of the Women (1911)
March of The Women | 16th Annual Dr. MLK, Jr. Tribute Concert | BCC - (youtube.com)
Boston Children's Chorus (BCC), 2019

Unterschiedliche Interpretationen von "What if I were young again" – aus "The Boatswain's Mate" (1914) 
What if I were young again (remix 1916) (youtube.com) dirigiert 1916 von Odaline de Martinez
The Boatswain's Mate, Pt. 1, Scene 6: Aria. "What If I Were Young Again?" (Mrs. Waters) (beide auf youtube.com) 1991 von Philip Brunelle

Ein letztes Wort von Igor Tschaikowsky …
"Miss Smyth ist eine der wenigen Komponistinnen, von denen man ernsthaft behaupten kann, dass sie auf dem Gebiet des musikalischen Schaffens etwas Wertvolles leisten." Tschaikowsky, 1888
Zum vollständigen Zitat auf Englisch
Ethel Smyth - Tchaikovsky Research (tchaikovsky-research.net)

Lesetipp: Biografie auf Deutsch "Paukenschläge aus dem Paradies", Ethel Smyth, ebersbach & simon

Quellen

  • Impressions That Remained. 2 Bände. London / New York 1919, Vol. 1 – Internet Archive, Vol. 2 – Internet Archive. Neuausgabe in 1 Band, 1946.
  • Streaks of Life. London / New York 1921
  • A Final Burning of Boats. London / New York 1928
  • Female Pipings in Eden. London / New York 1933
  • As Time Went On. London / New York 1936
  • Inordinate Affection. London 1936
  • What Happened Next. London / New York 1940
  • A Fresh Start. Unveröffentlichtes Manuskript 1941
  • Ethel Smyth, Christopher St. John
  • Impetuous heart, Louise Collis
  • Diaries of Virginia Woolf
  • The letters of Virginia Woolf
  • ETHEL MARY SMYTH DBE, Mus.Doc. A MUSICAL TIMELINE, compiled by Lewis Orchard
  • Weitere Quellen direkt bei den einzelnen Kapiteln

Über uns

Claudia Edermayer, Künstlerische Leitung von PianoMär

Foto: Claudia Edermayer
Foto: Claudia Edermayer

Schauspiel, Theaterstück, Grafikdesign, Videos, Webseitenbetreuung und Akquise

Was mich an Ethel Smyth so fasziniert, ist ihre Wandlungsfähigkeit und dass sie immer wieder neue Wege findet, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie gibt nicht auf, kämpft und treibt andere mit ihrem Temperament zur Verzweiflung. Sie sprüht vor Kreativität und weiß, was sie will - und was nicht.

Claudia Edermayer ist seit 1996 begeisterte Märchenerzählerin und Autorin und seit 2001 selbstständige Künstlerin.
Als Solistin begleitet sie sich selbst auf den alpenländischen Brummeisen oder taucht mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Rollenspielen tiefer in die Welt und das Wesen der Märchen ein.
Seit 2005 schreibt sie für die Tiroler Märchentraumwelten Stationentheaterstücke. Aufgeführt wurden und werden diese u.a. für Familien als inszenierte Märchenwanderungen im Zauberwald, als Tierfabelrätselpfad oder als Schutzwaldmärchen (2018 Auszeichnung mit dem Schutzwaldpreis Helvetia). Für Erwachsene schrieb sie ein Kriminalstück.
Für die Recherche zu diesem Stück reiste Claudia Edermayer nach London, Woking, Berlin, Leipzig und Wien.
Mehr über Claudia Edermayer

Martina Haselgruber 

Foto: Claudia Edermayer
Foto: Claudia Edermayer

Musik, Gesang, Lesung

Seit Abschluss ihrer Studien an der Musikuniversität Wien und an der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz arbeitet sie als Klavierlehrerin und Korrepetitorin am OÖ. Landesmusikschulwerk sowie als freischaffende Musikerin und Musikpädagogin. Bei ihren Projekten verbindet Martina Haselgruber häufig klassische Musik mit anderen Kunstformen. Dadurch kann auch für ein Publikum, das sich (noch) nicht so intensiv mit klassischer Musik auseinandergesetzt hat, ein Zugang zu dieser Musik geschaffen werden.
Mehr über Martina Haselgruber

Christine Maria Krenn 

Foto: Michi Pechhacker
Foto: Michi Pechhacker

Regie, Tanzpädagogik, Choreografie

Nach der Ausbildung zur Kindergartenpädagogin an der BAKIP Ried i.I. folgte ein Bühnentanzstudium mit Diplom für Tanzpädagogik am Brucknerkonservatorium Linz. Zahlreiche Engagements als zeitgenössische Tänzerin im In – und Ausland ließen Christine Maria Krenn künstlerisch wachsen. 

Mit dem 2006 gegründeten TANZTHEATER HELIX durfte sie erfolgreiche Regie – und Choreografiearbeiten für Bühnen und Festivals sowie Auftragsarbeiten für Events feiern.
Mit HELIX Event Inszenierungen gelang ihr 2017 als erste Frau in der Regie die Umsetzung der Visualisierten Klangwolke MOBY DICK – Jagd bis vor die Tore von Linz. 
Mehr über Christine Maria Krenn

Danksagung

Fördergeber

Vielen Dank an das Land OÖ und die Stadt Linz für die Unterstützung bei der Entstehung des Theaterstückes. Das Stück wurde im Rahmen von "Artist in Residence RedSapata / Sonnenstein Loft" erarbeitet und geprobt.

Unterstützung bei der Recherchearbeit

Großer Dank gebührt auch folgenden Stellen und Personen, die Claudia Edermayer bei der Recherche unterstützt haben:

British Library, Surrey History Centre in Woking (Di Stiff), Museum of LondonFrimhurst Family HouseTheatermuseum (Dr. Kurt Ifkovits), Österr. Nationalbibliothek, Marleen Hoffmann, Sächsisches Staatsarchiv Leipzig  


© PianoMär, Claudia Edermayer & Martina Haselgruber, 2020 - 2024, all rights reserved, Titelbild: Zeichnung von John Singer Sargent, aus: Impressions that remained